Blog: Red Teaming – Wie strategische Entscheidungen fundierter werden
Darf ein Schüler seine Klassenarbeit selbst benoten? Natürlich nicht!
Aber warum werden wichtige strategische Entscheidungen in Unternehmen durch die Entscheider selbst „geprüft“? Wahrscheinlich werden Sie sagen, dass hier doch ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen Schülern und Geschäftsführern bzw. Vorständen besteht. Ja, Sie haben natürlich Recht aber trotzdem nochmals in anderen Worten gefragt: Mit welcher Wahrscheinlichkeit wird eine Entscheidung hochwertig, wenn sie nicht kritisch geprüft wird?
Nehmen wir die aktuelle Pandemie-Lage als Beispiel. Der globale Shutdown der Wirtschaft dürfte für nahezu alle Unternehmen und deren Top-Management überraschend und kurzfristig gekommen sein. Innerhalb kürzester Zeit waren schnelle Entscheidungen zu treffen und der Betrieb neu zu organisieren. Diese taktischen Entscheidungen kann man nun in Retrospektiven reflektieren und für die Zukunft lernen, um besser vorbereitet zu sein. So weit so gut – und immerhin ein Anfang.
Wie belastbar sind unsere strategischen Entscheidungen?
Wie sieht es jedoch mit den strategischen Entscheidungen aus, die jetzt für die Zukunft anstehen? Wir wissen, dass die Zukunft anders sein wird als es vor der Pandemie der Fall war. Noch ist aber schwer abzuschätzen, wie genau diese Zukunft aussieht. Auf Klarheit zu warten, bedeutet sicher den Anschluss zu verlieren, jetzt sind die Weichen zu stellen und wichtige, nachhaltig wirkende Entscheidungen zu treffen. Jetzt ist Unternehmertum gefragt. Leitungsteams sitzen nun zusammen und werden nach bestem Wissen und Gewissen, unter Rückgriff auf Experten und die vielfältige Erfahrung versuchen, eine erfolgversprechende Strategie für die Zukunft zu entscheiden. Die verschiedenen Engpässe (Informationen, Know-How usw.) und Widersprüche (Cash Flow vs. Investition usw.) werden abgewogen und…
… am Ende basieren die gefallenen Entscheidungen zum Teil auf Unsicherheit, Vorurteilen, sozialer Abwägung und all den anderen menschlich allzu menschlichen Faktoren, die stets in Entscheidungen einfließen. Und, ganz wichtig: Die Entscheider prüfen sich selbst.
Gerade weil die aktuellen Strategieentscheidungen so zukunftskritisch sind, könnte genau jetzt die Zeit sein, Entscheidungen kritisch zu durchleuchten und ein Red Team einzusetzen. Das Konzept des Red Teams kommt ursprünglich aus dem Militär, hat sich aber auch in der Wirtschaft bewährt.
„Als Red Team … wird eine unabhängige Gruppe bezeichnet, welche eine Organisation zur Verbesserung der Effektivität bringen soll, indem sie als Gegner auftritt. Ziel ist es dabei immer, Sicherheitslücken aufzuspüren, bevor ein externer Dritter diese ausnutzen kann. Es ist besonders effektiv in Organisationen mit starren Strukturen und eingefahrenen Verfahrensweisen.“ (Quelle: Wikipedia)
Ein Beispiel aus der Militärgeschichte, das als eines von vielen zur Entwicklung des Red Team Konzeptes beitrug: Admiral Ozawa, wurde 1944 in der Schlacht in der Philipinensee von seinen Offizieren über die wahre Zahl an verfügbaren Flugzeugen falsch informiert. Diese wollten ihr Gesicht nicht verlieren und die wahren Ergebnisse des ersten Tages nicht offenlegen. Die Planung des Admirals für den zweiten Tag der Schlacht basierte daher auf falschen Annahmen, die Schlacht ging verloren. In der Rückschau auf dieses Ereignis wurde klar, dass eine kritischere Analyse des Entscheidungsprozesses und dessen Grundlagen zu anderen Entscheidungen geführt hätte. Ein Red Team hätte sicher geholfen.
Red Teaming ist vor allem ein strukturierter Prozess, in dem es darum geht, Interessen, Intentionen und Fähigkeiten einer Organisation – oder die eines potenziellen Wettbewerbers – durch Simulationen, Schwachstellenanalysen oder Analyse von Alternativen besser zu verstehen.
Potenzielle Fragen eines Red Team Prozeses sind:
- Wie kommen Entscheidungen zustande?
- Welche Grundlagen werden für Entscheidungen genutzt?
- Welche Faktoren werden in den Entscheidungen mehr oder weniger stark gewichtet?
- Welche Optionen (Anzahl und Qualität) wurden als Grundlage einer Entscheidung genutzt?
- Welche Definition und Bewertung der Risiken (was geht möglicherweise wie schief?) und Nebenwirkungen (was lösen wir noch aus?) sind eingeflossen?
- Welche menschlich allzu menschlichen Faktoren sind erkennbar?
- Wie wurde Innensicht vs. Außensicht gewichtet?
- Welche Blickwinkel nehmen die Stakeholder ein?
- Welche Vorerfahrung, welches Wissen, welche Qualifikation sind verfügbar?
- Wie sehen Reifegrad und Kultur im Unternehmen aus, wodurch sind sie gekennzeichnet?
- …
Die genannten Fragen zeigen, was das Red Team vor allem tut:
- Allgemein akzeptierte Annahmen und Theorien hinterfragen
- Blinde Flecken identifizieren
- Alternativen beschreiben
- Schwachstellen aufzeigen
- Worst-Case-Szenarien prüfen
Und genau damit macht sich ein Red Team sofort unbeliebt und jede Organisation wird kulturelle und strukturelle Widerstände gegen Red Teaming zeigen. Größere Widerstände gegen Red Teams kommen erfahrungsgemäß aus der Leitungsebene. Der Auftrag eines Red Teams muss einerseits von der Unternehmensleitung kommen, auf der anderen Seite sind Topmanager nicht gewohnt, dass ihre Entscheidungen in Frage gestellt werden. Es besteht ein großes Selbstvertrauen und Sicherheitsgefühl bzgl. der eigenen Arbeit und dem eigenen Wissen und ein erkennbares Bestreben, die eigenen Entscheidungen bestätigt zu bekommen. Diese Hürde gilt es zu überwinden.
Um die Aufmerksamkeit des Managements für Red Teaming zu bekommen,
brenne am besten das Gebäude auf der anderen Straßenseite nieder. Dann hören sie Dir zu!
Das Zitat von einem erfahrenen Red Teamer beschreibt sehr plakativ, wie aufwändig es ist, den ersten und stärksten Widerstand zu überwinden: Die Bereitschaft des Top-Managements – das als Auftraggeber fungieren muss – zu erlangen. Red Teaming ist ein anstrengender und meist auch unangenehmer Prozess, der eine entsprechende Haltung dazu benötigt. Der erste Schritt zur Nutzung des Red Teaming ist daher, die eigene Grundhaltung als Auftraggeber zu definieren. Dies kann sich dann bspw. so anhören:
- Ich habe noch nie etwas von einem Menschen gelernt, der mit mir einer Meinung war. (Selbsterkenntnis, nicht alles zu wissen/können)
- Niemand arbeitet optimal. Wenn ich annehme, meine Arbeit ist perfekt, bin ich zu faul, nach Verbesserungen zu suchen. Es geht um eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung. (Grundhaltung im Kanban)
Ist die Entscheidung für ein Red Teaming gefallen, wird automatisch die Frage auftreten, wie ein funktionierendes Red Team zusammengesetzt ist und wie das Mandat aussehen soll. Als grobe Richtschnur für die Besetzung kann gelten, dass ein Red Team:
- von bestehenden Strukturen, Prozessen etc. unabhängig sein muss
- keine Angst vor Ärger haben darf, es ihn sogar bewusst sucht
- den Umgang mit Komplexität und Stress beherrscht
- über tiefgehende (Business)Erfahrung verfügt, um die Ursachen hinter identifizierten Schwachstellen zu erkennen und Alternativen aufzeigen zu können.
Werden schließlich sinnvoll besetzte, angemessen ausgestattete und ermächtigte Red Teams eingesetzt, werden sie stets einen signifikanten Sprung in der Handhabung des untersuchten Themas erzeugen. Selbst wenn direkt messbare Effekte ausbleiben sollten, wird der Prozess einen deutlichen Erkenntnisgewinn erzeugen und den Tunnelblick der Organisation deutlich aufweiten. Entscheidend ist, den ersten Schritt zu gehen.
Eine Kombination aus belastbaren strategischen Entscheidungen und agilem operativen Handeln ist die beste Voraussetzung für nachhaltig erfolgreiches Wirtschaften. Mit der Einführung Agiler Arbeitsorganisation sind viele Unternehmen bereits auf dem Weg. Damit die Anstrengungen wirksam werden, braucht es gute strategische Vorgaben und die wiederum sind kritisch auf ihre Belastbarkeit zu prüfen. Red Teaming kann dabei helfen.
Lesetipps:
Buch: Red Team – How to succeed by thinking like the enemy https://www.goodreads.com/book/show/25159034-red-team
Red Teaming Guide des UK Verteidigungsministeriums: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/142533/20130301_red_teaming_ed2.pdf
Entscheiden in kritischen Situationen – vorbereitet sein auf das Unbekannte https://www.linkedin.com/pulse/entscheiden-kritischen-situationen-vorbereitet-sein-frank-edelkraut
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